Wann ist ein Hund gut erzogen? Eine Frage, die in der Hundeschule immer wieder auftaucht und die gar nicht so leicht zu beantworten ist. Meine Oma hat früher immer gesagt „Gut erzogene Kinder sieht und hört man nicht.“ Zugegeben eine sehr antiquierte und überholte Einstellung. In Bezug auf unsere Hunde scheint sie allerdings, zumindest bei einigen Menschen, immer noch aktuell zu sein. Daher scheint ein Blick auf diese Frage immer sinnvoll.
„Der ist aber unerzogen!“
Diesen oder Sätze wie „Den musst du mal richtig erziehen!“ bekommen Hundehalter, sehr häufig zu hören. Insbesondere dann, wenn sie einen Hund haben, der zum Beispiel andere Hunde anbellt. Wie es scheint, gelten solche Hunde nicht als gut erzogen und interessanterweise kommt diese Vorwurf oftmals von Menschen, die gar keinen Hund (dabei) haben.
Und für den betroffenen Halter ist diese Aussage oftmals sehr verletzend und in den wenigsten Fällen hilfreich. In ihr schwingt nämlich der Vorwurf mit, der Halter hätte entweder nicht die Fähigkeit oder nicht den Willen etwas gegen das Verhalten des Hundes zu unternehmen. In einigen Fällen mag das zwar zutreffen, was aber einen derartigen persönlichen Angriff – und sehen wir es realistisch, genau das ist es – dennoch in keinster Weise rechtfertigt.
Sozialverträglichkeit und Erziehung
Dabei vergessen die Menschen meist, dass die sogenannte Sozialverträglichkeit nichts mit Erziehung im eigentlichen Sinne zu tun hat. Ein Hund kann sehr gut erzogen sein und trotzdem bellen, wenn er andere Hunde sieht. Die Ursachen dafür können vielfältig sein und reichen von Frust und Aufregung bis hin zu tatsächlicher Unverträglichkeit mit Artgenossen.
Was ist denn eigentlich Hundeerziehung?
Um zu klären, wann ein Hund als gut erzogen gilt, müssen wir also erstmal schauen, was wir überhaupt mit dem Wort „Erziehung“ meinen. Unter Erziehung im Hundetraining verstehe ich – und da können die Meinungen durchaus auseinandergehen – dass ich mit meinem Hund alle Fähigkeiten und Verhaltensweisen trainiere, die ihn befähigen – mit meiner Unterstützung – in unserer Gesellschaft zurecht zu kommen und so ein möglichst entspanntes Leben zu führen.
Was es heißt, „in unserer Gesellschaft zurecht zu kommen“, kann dabei durchaus von Hund zu Hund sehr unterschiedlich sein. Das in der Erziehung des Hundes zu berücksichtigen, halte ich für elementar. Denn nur durch Verständnis für und Respekt gegenüber dem Hund und dessen individuellen Eigenschaften, können wir eine, auf Vertrauen basierende, Beziehung zum Hund aufbauen. Und wenn wir das tun, dann unterscheiden sich mitunter und logischerweise die Definitionen für einen Hund, der gut erzogen ist, sehr stark.
Müssen muss er nur, was er können kann
„Der Hund muss …“ ist einer der Satzanfänge, die mir im Kontakt mit Hundehaltern immer wieder begegnen. Meine Antwort darauf ist immer: „Der Hund muss nur, was er auch kann.“ Denn was wir auch im Hundetraining nicht vergessen dürfen, ist, dass der Hund ein Individuum ist, das genau wie wir Menschen auch individuelle Stärken und Schwächen hat. Und zunächst ist alles, was wir uns als Halter von unserem Hund wünschen erstmal nur ein Wunsch. Wie das im Leben so ist und wir alle wissen, gehen leider nicht immer alle Wünsche in Erfüllung.
Ein Hund, der ungeachtet seiner Bedürfnisse und individuellen Fähigkeiten erzogen wird, ist meiner Auffassung nach nicht gut erzogen, sondern er wird dressiert. Oftmals werden Hunde in Situationen gebracht/gezwungen, in denen sie sich offensichtlich unwohl fühlen und/oder überfordert sind. Und leider oftmals deshalb, weil der Mensch denkt, der Hund müsse das aber können oder aushalten.
Tierschutzgesetz und Erziehung
Das Tierschutzgesetz besagt wörtlich:
Es ist verboten, einem Tier außer in Notfällen Leistungen abzuverlangen, denen es wegen seines Zustandes offensichtlich nicht gewachsen ist oder die offensichtlich seine Kräfte übersteigen,
Tierschutzgesetz §3 Abs. 1
Bedauerlicherweise ist das Gesetz nicht eindeutig, was mit „nicht gewachsen“ und „seine Kräfte übersteigen“ gemeint ist. Klar ist aber, dass es darum geht, auf die jeweiligen Bedürfnisse und die Leistungsfähigkeit eines Hundes Rücksicht zu nehmen. Dies zu tun, liegt allein in der Verantwortung des Hundehalters – auch in der Erziehung.
Folgen von Überforderung
Tun wir das nicht und überfordern den Hund regelmäßig und dabei ist es zunächst unwichtig, ob das unwissentlich oder mutwillig geschieht, indem wir ihn in Situationen bringen, die er (noch) nicht meistern kann, ist eine mögliche Folge, dass der Hund Verhaltensweisen zeigt, die dann als Zeichen schlechter Erziehung gedeutet werden. Oftmals sind es reaktive Verhaltensweisen wie Bellen, Anspringen, an der Leine zerren und im schlimmsten Fall Schnappen oder Beißen, die sowohl dem Halter als auch seiner Umwelt, dann oft unangenehm sind und die dann als Zeichen gedeutet, dass der Hund nicht gut erzogen ist.
Aber was macht denn nun einen gut erzogenen Hund aus?
Zunächst einmal sollte gesagt sein, dass jeder grundsätzlich für sich selbst entscheiden muss, was es für ihn bedeutet, dass der Hund gut erzogen ist. Dass der Hund dabei keine Gefahr für sich und seine Umwelt darstellen darf und niemanden belästigen darf, sollte allerdings selbstverständlich sein.
Was ein erzogener Hund alles nicht tut
Um einen Hund zu beschreiben, der gut erzogen ist, ist es – entgegen meiner Gewohnheit, denn ich bin eigentlich immer für positive Zielformulierungen im Training – tatsächlich leichter zu beschreiben, was der Hund dann nicht tut, als zu beschreiben, was er tut.
Für mich persönlich gilt ein Hund als gut erzogen, wenn er
… Menschen bei der Begrüßung nicht anspringt oder anderweitig belästigt
… weder Menschen noch andere Lebewesen jagt
… keine Hauswände, Autos, Fahrräder oder andere Gegenstände anpinkelt
… nichts Essbares von Tischen oder Schränken stiehlt und frisst
… nicht bettelt, während ich selbst esse
… keine Möbel oder andere Gegenstände zerstört
… gut an der Leine läuft
… UND abrufbar im Freilauf ist
Verantwortung des Halters
Keiner der aufgeführten Punkte, die ein Hund nicht tun sollte, wenn er gut erzogen ist, sind aus Sicht des Hundes logisch oder sinnvoll.
Ein Hund unterscheidet nicht, ob er an die Hauswand oder einen Baum uriniert, wenn er seinem Bedürfnis zu Markieren nachkommt. Für ihn ist es zunächst logisch, zu jagen oder Essbares zu stehlen, wenn er die Möglichkeit dazu hat. Und auch das Anspringen bei der Begrüßung ist aus seiner Sicht erstmal völlig logisch.
Und somit liegt es allein in der Verantwortung des Hundehalters, dem Hund zu vermitteln, dass diese Verhaltensweisen nicht gewünscht sind und vor allem, wie sich der Hund stattdessen verhalten sollte.
Fazit
Wie also der Status „gut erzogen“ im Einzelfall definiert ist, kann sehr unterschiedlich sein und es bedeutet auch nicht, immer alles richtig zu machen und immer angepasst zu sein.
Für mein Verständnis kann auch ein gut erzogener Hund mal an der Leine pöbeln oder über die Stränge schlagen. Er darf bellen und toben und gerne auch mal frech sein, solange die von mir gesetzten Grenzen respektiert werden.
Oder um es anders zu sagen: Mein Hund darf alles, was er sich von mir auch verbieten lässt. UND von meinem Hund erwarte ich nur, was er auch in der Lage ist zu leisten. Auch wenn das manchmal bedeutet, dass einige meine Wünsche im Zusammenleben mit meinem Hund nicht realisierbar sind.